Alles Käse

Mommy ist eine Weltbummlerin und macht mehrmals im Jahr mit mir Europatrips. Baba – so nennen wir unsere Väter auf Taiwanisch – hingegen bleibt am liebsten in seiner bekannten Umgebung. Sein Besuch wird daher jedes Mal von meinen Mitmenschen groß zelebriert.

Der erste Kulturschock für Baba war das Bussi-links-und-rechts. Ich zeigte ihm die Kunstuni Graz. Vor dem Unigebäude kam uns mein spanischer Studienkollege entgegen, der mich fest drückte und mir die Wangen küsste. Ich hörte Baba Mommy leise fragen: „Ist das denn ihr Freund? Warum weiß ich nichts davon?“ Mama: „Nein, das ist nur ein Studienkollege.“
Später traf ich einen französischen Kollegen, das Begrüßungsritual wiederholte sich, diesmal bekam ich sogar drei Bussis. Ich hörte Baba hinter mir zischen: „Der ist aber ihr Freund, oder? Er hat sie unverschämt dreimal geküsst!“

Wir sind nun bei meinem Klavierprofessor eingeladen. Herr Professor hat sich vorher akribisch erkundigt, ob es etwas gebe, das mein Vater nicht essen würde. Baba meint nonchalant, es gebe nichts, was er nicht essen würde. Also werden wir zum Abendbrot eingeladen.
Ich bereite Baba seelisch darauf vor, dass das „Abendbrot“ üblicherweise keine warmen Speisen und meistens Brot und Käse beinhaltet.
„Du bist so etwas nicht gewohnt“, bemerke ich besorgt, „sollen wir nicht ein bisschen essen üben?“
Baba macht eine wegwerfende Geste: „Was macht schon ein bisschen Brot und Käse? Ich bin jetzt in deinem Land und werde mich anpassen.“

„Ich habe etwas ganz Besonderes für euch vorbereitet“, strahlt Herr Professor übers ganze Gesicht. Auf dem aufwendig dekorierten Esstisch stehen etwa zehn Brotsorten und gefühlte zwei Dutzend Sorten Käse.
Baba fragt mich voller Ehrfurcht: „Ist das alles Käse?“
Ich: „Ja, alles Käse.“
Ich sehe ihm an, dass ihn die imposante Komposition aus verschiedenen Käsedüften komplett überfordert. Wortlos schneide ich ihm die Weckerl, weil er nicht mit dem Brotmesser umgehen kann. Er kämpft sich jedoch tapfer von einem Käse zum nächsten durch.
Als das Highlight des Abends wird der Weiß- und Blauschimmelkäse herumgereicht.
Baba fragt mich, den Schock zu unterdrücken versuchend: „Sieht niemand, dass der Käse nicht mehr gut ist?“
„Der Käse ist komplett in Ordnung, den Schimmel isst man“, wispert Mommy ihm geduldig zu.

Auf dem Heimweg fragt Baba Mommy kleinlaut: „Kannst du mir bitte eine Reissuppe zur Magenberuhigung kochen?“

Aus: Unterwegs mit Chia-Tyan Yang – Geschichten mit Migrationsvordergrund, Graz 2021.
Herausgegeben vom steirischen Straßenmagazin MEGAPHON)