Wenn die musikalische Welt nach Graz kommt…
Der Internationale Wettbewerb „Franz Schubert und die Musik der Moderne“ (FS&MM) findet seit 1989 im dreijährigen Rhythmus in Graz statt.
Der 10. FS&MM fand von 19. bis 28. Februar 2018 an der Kunstuniversität Graz (KUG) in folgenden Sparten statt:
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- Duo für Gesang und Klavier (Lied)
- Trio für Klavier, Violine und Violoncello
- Streichquartett
Auszüge aus meinem Blogartikel „Das Wettbewerbsprogramm ist Teil unseres Lebens“, mehr Artikel, Fotos und Videos über den faszinierenden Musikwettbewerb findet ihr unter http://schubert.kug.ac.at/blog/
Der diesjährige FS&MM wurde von dem Tenor Raffaele Antonaglia und seinem Klavierpartner Guglielmo Lana eröffnet. Die zwei italienischen Musiker haben in ihrem Gepäck auch ein besonderes Werk dabei: ein Kompositionskollege am Konservatorium Triest, Davide Coppola, nahm die Teilnahme des Liedduos am FS&MM zum Anlass, um das Werk „Vermächtnis“ zu schreiben, das er Antonaglia und Lana schließlich widmete.
Da der erste Durchgang insgesamt drei Tage dauert und die Ergebnisse fairerweise erst dann bekannt gegeben werden, wenn alle Duos ihren Auftritt absolviert haben, haben die zwei Musiker reichlich Zeit, „um neben Proben, Üben, Zuhören auch das gute Essen von Graz auszuprobieren“, verraten sie uns mit einem Lächeln, „und natürlich viel Kaffee zu trinken. Für uns Italiener ist das ja ganz wichtig!“ (Anschließend folgt eine genauso ausführliche Einführung in die italienische Kaffeekultur wie davor die Einführung in ihre Programmgestaltung).
Schöpfung und Erschöpfung in der Musik
Die Sparte „Duo für Lied und Klavier (Lied)“ wird in insgesamt vier Durchgängen abgehalten. Einen inhaltlichen Zusammenhang und ein inneres Motto bei der Programmgestaltung zu finden, gilt als eine der Herausforderungen für die Lied-Duos. Wenn man ins Gespräch mit den Lied-Duos kommt, stellt man sehr schnell fest, dass sich die Teilnehmer bei der Auswahl der Kompositionen sehr viel überlegt haben. Sie lesen und recherchieren, versuchen die Gedanken und Sehnsüchte der Komponisten und Dichter nachzuvollziehen.
Das Duo Mikhail Timoschenko und Elitsa Desseva bezeichnet den Prozess der Programmfindung als „Schöpfung, aber auch Erschöpfung!“ Der russische Sänger und die bulgarische Pianistin lernten sich in Weimar beim Musikstudium kennen. Mittlerweile lebt Timoschenko in Paris und Desseva weiterhin in Weimar. „Und wir proben buchstäblich zwischen Paris und Weimar“, während der langen Zugfahrten werden fleißig Noten und Texte studiert. Die Terminkoordination ist auch eine große Kunst, „es kommt auch vor, dass wir für eine zweistündige Probe insgesamt 16 Stunden im Zug sitzen.“
Beide Musiker sind wettbewerbserprobt, dennoch haben sie sich „für keinen anderen Wettbewerb so viele Gedanken gemacht.“ Da es für die meisten Werke keine Einspielungen gibt, haben sie sich insgesamt durch mehr als 700 Doppelseiten an Notenmaterial durchgewühlt. Und das meiste davon ausprobiert. „Ich bin zwar ein Mann, aber es war für mich wirklich wie eine Geburt“, erzählt Timoschenko. „Ja, mit viel Schweiß, Schmerzen, Blut, Gedärme!“, ergänzt Desseva, „Umso mehr schätzen und lieben wir das Programm, das wir für diesen Wettbewerb vorbereitet haben.“
Plötzlich wird Timoschenko ernst, „wenn ich ganz ehrlich bin, ist das Wettbewerbsprogramm ein Teil meines Lebens, unseres Lebens geworden. Wenn du es in Gedanken ständig mit dir trägst, dann wird es ein Teil von dir.“
Timoschenko und Desseva bei der Endphase der Programmfindung in Paris,
es sind etwa je 10 Werke pro Stapel – also wurde Timoschenko von über 100 Liedern umgeben.
Egal wie Timoschenko und Desseva beim FS&MM 2018 abschneiden (sie kommen heute als eines der letzten Duos dran), fühlen sie sich bereits jetzt, als wären sie ein Stück gewachsen. Das Wettbewerbsprogramm nehmen sie fix in ihr Repertoire auf, sie haben es auch schon als abendfüllendes Konzertprogramm öffentlich aufgeführt. Ihr Publikum hat das abwechslungsreiche Programm zwischen Klassik und Moderne begeistert aufgenommen. „Die moderne Musik bringt dich manchmal in eine ganz andere Welt“, sagt Desseva nachdenklich und bezieht sich auf das Konzert mit ihrem FS&MM-Programm, „ich habe noch nie so eine Stimmung erlebt. In der modernen Musik gibt es oft ganz spezielle Momente der Stille. Diese Stille ist richtig körperlich spürbar.“
Musik verbindet.
Auch das Grazer Publikum, das den Weg zum Florentinersaal im Palais Meran gefunden hat, ist begeistert von dem hohen Niveau und den unterschiedlichen Programmgestaltungen sowie Interpretationen der Ensembles. Da ist ein Musikliebhaber aus der Obersteiermark, der gebürtiger Ägypter und langjähriger FS&MM-Fan ist: „Ich war schon als Zuhörer dabei, bevor das MUMUTH da war!“ (Anmerkung: das MUMUTH, Haus für Musik und Musiktheater, wurde 2009 in Betrieb genommen). Alle drei Jahre mietet er sich für eine ganze Woche ein Zimmer in Graz, um den FS&MM „vom Anfang bis zum Ende zu erleben.“
Wir lernen auch eine finnische Zuhörerin kennen, die selber auch Musikerin ist und die Auftritte der jungen Musiker als „Sternstunden für mich“ bezeichnet. Sie kommt täglich und möchte sich kein Duo entgehen lassen. Besonders gut gefallen ihr auch die Musiker, die „auf der Bühne mit dem Publikum flirten“, sagt sie augenzwinkernd.
Die Zuhörer begeistern auch die unterschiedlichen Kulturkreise, aus denen die Musiker kommen. Von mitteleuropäisch bis fernöstlich (z.B. das Duo Yosefin Emilia Tirtowidjojo & Terra Tirta Putri Rimba, das in Wien und Berlin lebt, kommt aus Indonesien).
Was verbindet den ägyptischen Obersteirer, die in Berlin studierende Indonesierin und die in Weimar lebende Bulgarin miteinander? Die Liebe zur Musik. Und wahrscheinlich noch viel wichtiger: die subtile und unausgesprochene Überzeugung, dass Musik als ein Teil von uns allen fähig ist, die scheinbar so unüberwindbaren Differenzen der Menschen zu überwinden.
Ja, ein Musikwettbewerb ist kompetitiv, das sagt allein schon sein hinterer Namensbestandteil. Zugleich bringt er aber auch Menschen zusammen, die alle eine gemeinsame Eigenschaft haben: Sie machen oder/und hören leidenschaftlich gern Musik. Und das ist das, was letztendlich zählt.