Chia-Tyan Yang 楊佳恬

Pianist. Storyteller.

Unser Sternenkind im Himmel & Herzen
Stories

Unser Sternenkind im Himmel & Herzen

Felix Sebl Yang, nach 4,5-monatigem Bauchaufenthalt geboren & in den Himmel gezogen

Das ist der erste Nachruf, den ich jemals verfasse. Ja, ich rufe lautlos nach meinem Sohn.

Das Kind war ein Frühaufsteher. Während der Schwangerschaft stand ich täglich zwischen 6 und 7 Uhr auf. Sein Lieblingsessen war alles, was rote Farben hat: Erdbeeren, Äpfel, Cherrytomaten, Spaghetti Bolognese. Sein Lieblingskomponist war Felix Mendelssohn-Bartholdy, nach dem es genannt wurde und dessen Klaviermusik es während seines Bauchaufenthaltes rauf und runter hörte, live gespielt von der Mama.

Was ist Gegenwart und was Vergangenheit?

Den ersten Absatz schrieb ich im Präteritum, also der Zeitform, in der vergangenen Handlungen ausgedrückt werden. Die deutsche Sprache trennt die Gegenwart kompromisslos von der Vergangenheit. Anders als Taiwanesisch und Mandarin, in denen die Verben grundsätzlich nicht konjugiert werden („Ich essen gestern“, „Er gehen voriges Jahr“) .

Heißt es nun „unser erster Sohn hieß Felix“ und nicht doch „unser erster Sohn heißt Felix“? Für mich ist Felix keine Vergangenheit, er ist präsent. Omnipräsent.

Die kostbare Zeit zu dritt

Das Kindsvater und ich erfahren in der frühen Schwangerschaftsphase, dass unser Baby keine Überlebenschancen hätte. Es trifft uns wie ein Blitz. Zielsicher und schneidend. Wir haben uns entschieden, so viele schöne Momente wie möglich mit dem Baby zu er-leben. Ich streichle täglich den größer werdenden Bauch und denke mir: „Wir leben, ja, wir leben.“

Unser Kind würde die Heimat seiner Mutter, die „Ilha Formosa“ (=schöne Insel), wie die portugiesischen Seefahrer sie einst nannten, nie kennenlernen. Der Wunsch, mit dem Kind am Meer zu sein, wächst aber. Also begeben wir uns wir nach Portorož/Slowenien. In einem kleinen Café am Meer bestelle ich einen Tee, der einen trendigen Namen trägt: „Black Tee with Ginger Shot“. Der Duft erinnert mich an den legendären Ingwertee von meiner Oma. Ich trinke den Tee und weine.

Wir möchten dem Kind auch seine Heimat Österreich zeigen. So fahren wir nach Gröbming, um die Berge in Schnee zu bewundern. Nach Velden, um ausgedehnte Spaziergänge am Wörthersee zu machen. In die Südsteiermark, um auf der Sonnenterrasse unter dem alten Kastanienbaum zu liegen.

Wir erfahren, dass unser Baby ein Bub ist. Wir nennen ihn Felix, den Glücklichen. Ich bastle ihm zusätzlich einen Namen auf Mandarin: 克飛 [k‘-fe], was so viel wie „Alle Hürden überwinden und im Himmel fliegen“ bedeutet.

Die letzten Momente der gemeinsamen Reise

Covid-19 kommt dazwischen. Ich streame ein paar Wohnzimmerkonzerte für Familie und Freunde. Ich erzähle dem Publikum von der Schwangerschaft, dass kleiner Felix mithört. Man gratuliert uns herzlich zur Schwangerschaft. Und ich bedanke mich für die Glückwünsche.

Die taiwanesische Großmutter schickt Spielsachen und Glücksbringer, die sie im Mazu-Tempel hat segnen lassen. „Felix kommt in meinen Traum und möchte orangefarbene Matchboxautos haben“, erzählt meine Mutter schmunzelnd, wie sie sämtliche Spielzeugsläden in unserem Heimatort durchkämmt hat.

Felix‘ Papa darf nicht dabei sein, wenn es soweit ist. Ich sage zu Felix: „Mama wird mit dir die letzten Meter gehen. Hab keine Angst.“ Zwei Stunden Wehen und Felix wird geboren. Lautlos und mit einem zarten Lächeln im Gesicht. Er hat das Grinsen von Mama und die langen Beine von Papa. Als die Klinikpsychologin Felix sieht und erstaunt kommentiert, „Er hat so eine süße Nase!“, füllt sich das Mamaherz mit so viel Stolz!

Noch am Abend unserer stillen Geburt wird das Besuchsverbot in den Krankenhäusern aufgelockert, am nächsten Tag darf Felix‘ Papa kommen und sich verabschieden. Er schaut unseren kleinen Sohn an und grüßt ihn: „Hallo mein Schatz.“

Und tschüs, Schatz.

Im Himmel & im Herzen

Als Buddhistin glaube ich daran, dass jede Seele in jedem ihrer wiederkehrenden Leben eigene Aufgaben zu erfüllen hat. Manche Seelen brauchen dafür länger, manche kürzer. Unser Felix gehört offensichtlich zu den Letzteren.

Bitte sagt nicht „Es tut mir Leid“ oder „Mein aufrichtiges Beileid“. Wir brauchen weder Mit-Leid noch Bei-Leid. Jedoch sehr wohl Mit-Gefühl. Wenn ihr möchtet, zündet Felix eine Kerze an und schickt ihm ganz viel Liebe.

Wie sagt Felix‘ österreichische Großmutter so schön: „Auf ein glückliches Wiedersehen am Ende unseres Weges.“ Und ich werde immer dankbar sein, ein paar Monate sein Herz unter meinem getragen zu haben.

Veröffentlicht beim Straßenmagazin MEGAPHON / Ausgabe Juli 2020

Written by Chia-Tyan Yang in 2020/08/28