Die thailändische Masseurin in Ungarn
Schatz und ich machen ein paar Tage Thermenurlaub im ungarischen Städchen Sárvár. Das Straßenbild wird geprägt von kleinen Gemüseläden, Greißlern, Lagerhäusern etc., die ganz unaufgeregt aneinander gereiht sind. Die Verkäufer unterhalten sich ausgiebig mit den Kunden und sie scheinen sich alle zu kennen. An der Kasse verzeiht der Greißler mir mein langes Nachdenken beim Münzesuchen und Forint-Euro-Umrechnen, wenn ich zuvor lauthals köszönöm („danke“) oder szia („hallo“) sage.
Im Hotel lasse ich mich von der übereifrigen SPA-Rezeptionistin aus Norddeutschland zu mehreren Massagen überreden, darunter auch eine Thai-Massage. Die Masseurin, eine Thailänderin mittleren Alters, zeigt sich überrascht, als sie mich sieht. Im einfachen Englisch fragt sie mich: „Welcome. Asia?“ Ich: „Yes, Taiwan.“ Sie macht ganz große Augen und erklärt mir aufgeregt, sie habe vor mehr als 20 Jahren in Taiwan gearbeitet. Sie wollte das Land nicht verlassen, jedoch habe sie kein Arbeitsvisum mehr erhalten. „Ich habe seitdem nie wieder Mandarin mehr gesprochen.“ Sie versucht sich zu erinnern und wir bringen tatsächlich eine Unterhaltung auf Chinesisch zustande. „Wie wundervoll das Leben doch ist“, lacht sie kopftschüttelnd, „eine Taiwanesin in Österreich und eine Thailänderin in Ungarn!“
Die Masseurin spricht genau so, wie die Menschen gesprochen haben, als ich vom Zuhause wegegangen bin. Was ich ihr nicht erzählt habe: auch ich habe Taiwan vor mehr als 20 Jahren verlassen.
Aus der Kolumne „Unterwegs mit Chia-Tyan Yang“
Straßenmagazin Megaphon /Ausgabe November 2016